Experimentelle Ergonomie

Unter experimenteller Ergonomie verstehen wir das Entwickeln und Erproben neuer Methoden zur Erfassung mentaler Belastung am Arbeitsplatz und deren Auswirkung auf die Informationsverarbeitung. Dieser Forschungsbereich bildet damit die Brücke zwischen Grundlage und Anwendung in der Ergonomie.

Leitung
Prof. Dr. Edmund Wascher
Sekretariat
Judith Geiger
Anschrift
Ardeystr. 67
44139 Dortmund

Leitung Forschungsbereich

Informationsverarbeitung ist ein wesentlicher Bestandteil moderner Arbeitsplätze. Falsche und zu viel an Information kann zu psychischen Beanspruchungen führen, die sich wiederum negativ auf die Informationsverarbeitung auswirken. An diesem Kreisschluss wurde bisher elementar gearbeitet, getrennt für Grundlagenforschung und Anwendungsbereiche. Ein Ziel unserer Arbeit ist es, die Lücke zwischen der Untersuchung spezifischer Aspekte der Informationsverarbeitung und der Erfassung der psychischen Beanspruchung im hochkontrollierten Labor und angewandter Forschung in natürlichen Umgebungen zu schließen, die bisher von der subjektiven Einschätzung dominiert wird. Dies geschieht durch die Entwicklung neuer Analysen auf Basis des mobilen EEGs.

Zwei Aspekte stehen im Mittelpunkt der Arbeit der Experimentellen Ergonomie: 1) Die systematische Evaluierung des Einflusses externer und interner Faktoren (Human Factors) auf die psychische Beanspruchung und Informationsverarbeitung. Diese Experimente werden im Labor durchgeführt. Ein wesentlicher Faktor dabei ist der Einfluss von akutem Stress auf die Kognition. 2) Die Etablierung mobiler neurokognitiver Messungen in Szenarien mit unterschiedlichem Natürlichkeitsgrad bis hin zum Arbeitsplatz (Neuroergonomie). Dabei steht die Entwicklung von Methoden im Vordergrund, die darauf abzielen, Parameter der mentalen Beanspruchung und der kognitiven Verarbeitung aus dem EEG zu extrahieren. Dies geschieht aus Aufzeichnungen in völlig uneingeschränkter und unkontrollierter Umgebung. Letzteres beinhaltete auch die Anwendung von maschinellem Lernen in der EEG-Analyse. Auf diese Weise konnte die Gruppe völlig neue Ansätze zu psychischen Anforderungen am Arbeitsplatz etablieren.

Human Factors

Leitende:r Wissenschaftler:in: Stefan Arnau, Mauro Larrá
Mitarbeiter:innen: Nathalie Liegel, Leon von Haugwitz, Emad Alyan

Dieser Forschungsansatz zielt auf eine generelle Betrachtung der psychischen Beanspruchung in ihrer Interaktion mit externen (z.B. Unterbrechungen) und internen (z.B. Motivation) Faktoren. Es werden drei Ziele verfolgt: 1) zuverlässige und valide EEG-Parameter zu finden, die psychische Zustände in verschiedenen Szenarien objektiv widerspiegeln, 2) zu zeigen, wie sich grundlegende Mechanismen der Informationsverarbeitung durch diese Faktoren verändern, und 3) zu demonstrieren, dass diese Ansätze auf reale Arbeitsplätze übertragen werden können.  

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Ausgangspunkt dieses Themas ist die kontinuierlich fortschreitende Forschung zu geistiger Ermüdung und "Mind Wandering". Wir können zeigen, dass zeitlich eng begrenzte Veränderungen im Alpha- und Theta-Bereich das Engagement der Teilnehmer bei den Aufgaben widerspiegeln, was mit Veränderungen in der Effizienz der exekutiven Funktionen einhergeht.

Darüber hinaus haben wir ein Stresslabor (Cold Pressor Lab) eingerichtet, das es ermöglicht hochstandardisiert und zeitlich präzise Stress zu induzieren. Unter Verwendung von EEG und peripherphysiologischen Messungen untersuchen wir schnelle nicht-genomische sowie später einsetzende Effekte von Stress.  So konnten wir zeigen, dass cortisolbasierte Stresseffekte die Aufmerksamkeitslenkung beeinflussen und erhöhte kardioafferente Aktivierung zu Veränderungen bei der Verarbeitung kognitiver Konflikte führt. In Zusammenarbeit mit der Abteilung für Immunologie werden Zytokinreaktionen auf verschiedenen Zeitskalen behandelt. Diese Ansätze sollen alle Studien unterstützen, die die psychische Beanspruchung im Arbeitskontext untersuchen (z.B. EU-Projekt SustAge). Wir konnten auch zeigen, dass sich der subjektiv wahrgenommene Stress bei Rettungskräften erheblich vom körperlich erlebten Stress unterscheidet.

Aktuelle Publikationen
  • Arnau, S., Brümmer, T., Liegel, N., & Wascher, E. (2021). Inverse effects of time‐on‐task in task‐related and task‐unrelated theta activity. Psychophysiology, 58(6). https://doi.org/10.1111/psyp.13805
  • Arnau, S., Löffler, C., Rummel, J., Hagemann, D., Wascher, E., & Schubert, A. (2020). Inter‐trial alpha power indicates mind wandering. Psychophysiology, 57(6). https://doi.org/10.1111/psyp.13581
  • Arnau, S., Sharifian, F., Wascher, E., & Larra, M. F. (2023). Removing the cardiac field artifact from the EEG using neural network regression. Psychophysiology, e14323. https://doi.org/10.1111/psyp.14323
  • Finke, J. B., Zhang, X., Plein, D., Schilling, T. M., Schachinger, H., & Larra, M. F. (2021). Combining mental and physical stress: Synergy or interference? Physiol Behav, 233, 113365. https://doi.org/10.1016/j.physbeh.2021.113365
  • Larra, M.F., Capellino, S., Schwendich, E., von Haugwitz, L., Reinders, J., & Wascher, E. (2023). Immediate and delayed salivary cytokine responses during repeated exposures to Cold Pressor stress. Neuroimmunomodulation. https://doi.org/10.1159/000529625
  • Larra, M. F., Finke, J. B., Wascher, E., & Schachinger, H. (2020). Disentangling sensorimotor and cognitive cardioafferent effects: A cardiac-cycle-time study on spatial stimulus-response compatibility. Sci Rep,10(1), 4059. https://doi.org/10.1038/s41598-020-61068-1
  • Larra, M. F., Zhang, X., Finke, J. B., Schachinger, H., Wascher, E., & Arnau, S. (2022). Stress effects on the top-down control of visuospatial attention: Evidence from cue-dependent alpha oscillations. Cogn Affect Behav Neurosci, 22(4), 722-735. https://doi.org/10.3758/s13415-022-00994-1
  • Peifer, C., Hagemann, V., Claus, M., Larra, M. F., Aust, F., Kuhn, M., Owczarek, M., Brode, P., Pacharra, M., Steffens, H., Watzl, C., Wascher, E., & Capellino, S. (2021). Low self-reported stress despite immune-physiological changes in paramedics during rescue operations. EXCLI J, 20, 792-811. https://doi.org/10.17179/excli2021-3617

Neuroergonomie

Leitender Wissenschaftler: Edmund Wascher
Mitarbeiter:innen: Julian Elias Reiser, Emma Lieker, Emad Alyan, Melanie Karthaus

Die kognitive Neuroergonomie verbindet Aspekte der kognitiven Ergonomie mit neurowissenschaftlichen Methoden. Auf diese Weise können psychische Belastungen und deren Auswirkungen auf die Informationsverarbeitung am Arbeitsplatz objektiv gemessen und mit neurowissenschaftlichen Modellen integriert werden. Dies ist insbesondere für solche Arbeitsplätze wichtig, an denen nur eine implizite Messung der psychischen Belastung möglich ist. Ein wesentlicher Aspekt ist in diesem Zusammenhang die Entwicklung von Methoden zur Messung der kognitiven Informationsverarbeitung und der resultierenden Belastung in sehr realistischen Umgebungen, ohne die natürlichen Handlungen der Probanden zu beeinträchtigen.

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In diesem Zusammenhang werden zwei Ziele angestrebt: 1) Es sollen objektive Maße für die mentalen Anforderungen realer Situationen bereitgestellt werden. 2) Es soll die Veränderung der Informationsverarbeitung in realen Situationen messbar gemacht werden. Um diese Maße auch ohne die äußere Beeinflussung der Arbeitstätigkeit zu erheben, werden Verhaltensweisen der arbeitenden Person zur Analyse herangezogen, insbesondere Augenereignisse (Augenblinzler, Sakkaden). Durch diese Ereignisse können sowohl ereigniskorrelierte Potentiale als auch ereigniskorrelierte Perturbationen berechnet werden, die sehr empfindlich auf Veränderungen der kognitiven Funktionen durch mentale Belastung reagieren. Diese Veränderungen wurden bereits in vielen Umgebungen nachgewiesen: sowohl in Freifeldversuchen beim Gehen auf dem Institutsgelände, bei einer Leitwartensimulation und während des Fahrens in einem Fahrsimulator.

Besondere Bedeutung kommt an dieser Stelle der Anwendung neuer KI-basierter Analysemethoden zu, da es sich um zunehmend komplexere und multimodale Datenströme handelt. Neben neurophysiologischen Methoden wie dem EEG werden auch zeitgleich peripherphyiologische Messungen mit EKG, mobiler Blickbewegungs- und Körperbewegungserfassung durchgeführt. Die Messungen werden sowohl in natürlichen Arbeitsumgebungen als auch im VR-Ganglabor und dem hydraulischen Fahrsimulator durchgeführt.

Aktuelle Publikationen
  • Alyan E, Wascher E, Arnau S, Kaesemann R, Reiser JE: Operator state in a workplace simulation modulates eye-blink related EEG activity. IEEE Trans Neural Syst Rehabil Eng 31: 1167-1179 (2023)
  • Mohamad Yahaya NA, Awang Rambli DR, Sulaiman S, Merienne F, Alyan E: Design of game-based virtual forests for psychological stress therapy. Forests 14: 288 (2023) (14 pp)
  • Wascher E, Alyan E, Karthaus M, Getzmann S, Arnau S, Reiser JE: Tracking drivers’ minds: Continuous evaluation of mental load and cognitive processing in a realistic driving simulator scenario by means of the EEG. Heliyon 9 (7): e17904 (2023) (13 pp)

Driving

  • Karthaus M, Wascher E, Getzmann S: Distraction in the driving simulator: An event-related potential (ERP) study with young, middle-aged, and older drivers. Safety 7 (2): 36 (2021) (17 pp)
  • Karthaus M, Wascher E, Falkenstein M, Getzmann S: The ability of young, middle-aged and older drivers to inhibit visual and auditory distraction in a driving simulator task. Transport Res F 68: 272-284 (2020)
  • Getzmann S, Reiser JE, Karthaus M, Rudinger G, Wascher E: Measuring correlates of mental workload during simulated driving using cEEGrid electrodes: a test–retest reliability analysis. Front Neuroergon 2: 729197 (2021) (16 pp)
  • Wascher E, Arnau S, Reiser JE, Rudinger G, Karthaus M, Rinkenauer G, Dreger F, Getzmann S: Evaluating mental load during realistic driving simulations by means of round the ear electrodes. Front Neurosci 13: 940 (2019) (11 pp)
  • Reiser, J. E., Arnau, S., Rinkenauer, G., & Wascher, E. (2022). Did you even see that? Visual sensory processing of single stimuli under different locomotor loads. PLOS ONE, 17(5), 1–21. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0267896
  • Wascher, E., Arnau, S., Gutberlet, M., Chuang, L. L., Rinkenauer, G., & Reiser, J. E. (2022). Visual Demands of Walking Are Reflected in Eye-Blink-Evoked EEG-Activity. Applied Sciences, 12(13), 6614. https://doi.org/10.3390/app12136614
  • Wascher, E., Reiser, J., Rinkenauer, G., Larrá, M., Dreger, F. A., Schneider, D., Karthaus, M., Getzmann, S., Gutberlet, M., & Arnau, S. (2023). Neuroergonomics on the Go: An Evaluation of the Potential of Mobile EEG for Workplace Assessment and Design. Human Factors: The Journal of the Human Factors and Ergonomics Society, 65(1), 86–106. https://doi.org/10.1177/00187208211007707
  • Reiser, J. E., Arnau, S., Rinkenauer, G., & Wascher, E. (2022). Did you even see that? Visual sensory processing of single stimuli under different locomotor loads. PLOS ONE, 17(5), 1–21. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0267896
  • Wascher, E., Arnau, S., Gutberlet, M., Chuang, L. L., Rinkenauer, G., & Reiser, J. E. (2022). Visual Demands of Walking Are Reflected in Eye-Blink-Evoked EEG-Activity. Applied Sciences, 12(13), 6614. https://doi.org/10.3390/app12136614
  • Wascher, E., Reiser, J., Rinkenauer, G., Larrá, M., Dreger, F. A., Schneider, D., Karthaus, M., Getzmann, S., Gutberlet, M., & Arnau, S. (2023). Neuroergonomics on the Go: An Evaluation of the Potential of Mobile EEG for Workplace Assessment and Design. Human Factors: The Journal of the Human Factors and Ergonomics Society, 65(1), 86–106. https://doi.org/10.1177/00187208211007707