Pressetexte

Damit das Pflegepersonal nicht zum Patienten wird – Auf die Technik kommt es an! 
(C. von Soosten)

Dortmunder Forscher vom IfADo messen Wirbelsäulenbelastungen bei Pflegetätigkeiten, um die Kranken- und Altenversorgung rückengerechter zu gestalten. 
Eine Patientin im Bett aufrichten, einen Pflegebedürftigen umlagern – viele Bewegungen beim Dienst am Patienten gehen dem Personal sprichwörtlich ins Kreuz. Denn diese Tätigkeiten erfordern nicht nur einen großen Kraftaufwand, meist erfordert die Arbeit am Krankenbett auch noch eine ungünstige Körperhaltung. Wenn dann noch gleichzeitig Dreh- und Beugebewegungen nötig sind, können Muskeln, Knochen und Gelenke fehl- und überbelastet werden. Schmerzen und eine dauerhafte Schädigung sind nicht selten die Folge.

Dass in der Alten- und Krankenpflege die mechanische Belastung auf den Körper enorm ist, ist unumstritten – lange war es aber nicht möglich, die Belastung in Zahlen zu fassen. Nun ist es sogar möglich, die Belastungen an einzelnen Abschnitten des Rückgrats zu berechnen. Dazu entwickelte das Team um Matthias Jäger und Alwin Luttmann am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo) ein „intelligentes Bett“.

Ein Bett denkt mit: In einem ersten Schritt messen die Wissenschaftler die Kräfte, die bei Pflegetätigkeiten aufgewendet werden. „Das Mess-Bett hat an vielen Punkten eingebaute Messinstrumente, die die Veränderung des gelagerten Gewichtes und der Kräfte der Pflegerin auf das Bett aufnehmen“, betont Andreas Theilmeier, der die Entwicklung maßgeblich betreut hat. Unter den Füßen der Pflegerin registrieren mehrere Messplattformen die zusätzliche Last in Form von Kraftverteilungen und Richtungsänderungen. 
Claus Jordan ergänzt: „Mit Hilfe von zahlreichen Kameras und Infrarot-Leuchtdioden, die die Gelenke der Pflegeperson markieren, werden die unterschiedlichen Körperhaltungen und -bewegungen während realer Pflegesituationen aufgezeichnet, digitalisiert und im Computer mit den gemessenen Kräften verrechnet.“ Dazu wird ein Skelett- und Muskelmodell benutzt, das ebenfalls im IfADo entwickelt wurde und schon in verschiedensten ergonomischen Untersuchungen zum Einsatz kam: „Der Dortmunder“ ermöglicht Computersimulationen, mit denen die biomechanische Wirbelsäulenbelastung für fast alle Arbeitssituationen des Berufsalltags berechnet werden können; die Ergebnisse solcher Berechnungen bilden eine der Grundlagen im Anerkennungsverfahren von Berufskrankheiten. Auf diese Weise werden derzeit die Belastungen bei verschiedenen Pflegetechniken quantifiziert. Als besonders gefährlich haben sich Bewegungen herausgestellt, bei denen die Wirbelsäule unter Druck verdreht wird. Die Kräfte, die bei solchen Lagerungsbewegungen auf die Bandscheiben der Lendenwirbelsäule wirken, können so hoch werden wie das Gewicht von einem kleinen Auto oder einem ausgewachsenen Rind, d.h. einer halben Tonne und mehr entsprechen. Durch veränderte Techniken beim Bewegen der Patienten, wie z.B. eine geschickte Teilung von Bewegungsabläufen in separate Handlungen oder durch zahlreiche Vorverrichtungen, können diese Kräfte teilweise halbiert werden.

Vorbeugung ist besser als Nachsorge:
Mindestens ebenso wichtig ist aber der vorbeugende Aspekt: Mit Hilfe des Mess-Bettes können alternative und optimierte Bewegungsabläufe ausprobiert und bewertet werden. Außerdem wird untersucht, ob Hilfsmittel, wie z.B. Hebehilfen oder Gleitmatten, die Rückenbelastung mindern können und zur Prävention empfohlen werden sollten. Denn die Vorbeugung von Überlastungen kann Fehlzeiten vermindern und drohende Berufsunfähigkeit im Vorfeld vermeiden. Deshalb arbeiten die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) und die IfADo-Forschungsgruppe eng zusammen.

 

Schwerstarbeit über den Wolken?

(C. von Soosten)

IfADo–Biomechaniker berechnen Rückenbelastung bei Flugpersonal: Wer in der Ferienzeit im Flugzeug sitzt, freut sich meist auf den wohlverdienten Urlaub – und denkt nur selten darüber nach, dass der Ferienflieger für andere auch ein Arbeitsplatz ist. Manchmal als „Saftschubser“ (oder im Englischen „Trolley dollies“) verunglimpft, wird das Flugbegleitpersonal nicht immer angemessen gewürdigt. Dabei kann der Bordservice teilweise Schwerarbeit sein – das ergaben neue Untersuchungen einer von der Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen initiierten Studie, an der neben namhaften Fluggesellschaften das Berufsgenossenschaftliche Institut für Arbeitsschutz in Sankt Augustin (BGIA), das Institut für Arbeitswissenschaft der TU Darmstadt und das IfADo beteiligt waren.

Vor allem bei Kurzstreckenflügen wird der Getränke- und Essensservice auch während des Steig- und Sinkfluges durchgeführt. Dabei kann der Kabinenboden eine deutliche Steigung aufweisen, über die die schweren Servierwagen hochgeschoben oder gezogen werden. Je nach Beladung und Bodenschräge bedeutet dies dann harte körperliche Arbeit. 
Die TU Darmstadt untersuchte bei etwa 500 Flugbegleitern die individuelle Leistungsfähigkeit, und in Sankt Augustin wurden in einer aufwendigen Labornachbildung des Flugzeugganges die Körperhaltungen und ausgeübten Kräfte von Flugbegleitern beim Bewegen der Trolleys gemessen. Darauf aufbauend untersuchte das IfADo-Team um den Biomechaniker Matthias Jäger die Belastung der Lendenwirbelsäule mit Hilfe von komplexen Computersimulationen. In einigen Fällen fanden die Wissenschaftler eine starke Überlastung der Wirbelsäule, die auf Dauer zu körperlichen Schäden führen kann – aber auch rückenschonendere Handhabungen, die dies verhindern können.

Die Servierwagen gibt es in einer langen und einer kurzen Ausführung, wobei gerade die kurzen Trolleys beim Ziehen extrem leicht kippen. Geschicktes Greifen verhindert das Kippen, wodurch gleichzeitig die Wirbelsäule entlastet wird. Bei den anderen Handhabungen kann ebenfalls durch geschicktes Arbeiten der Rücken entlastet werden, fanden die Dortmunder Forscher heraus.

Die im Rahmen der Untersuchungen entwickelten Messtrolleys eignen sich auch dafür, zukünftiges Bordpersonal zu schulen und so rückengerechtere Bewegungen zu trainieren. Passendes Schuhwerk mit flachen Absätzen und griffigen Sohlen erweisen sich ebenfalls als sinnvoll. „Außerdem sollte schon bei der Konstruktion der Trolleys besonders auf die Kippstabilität geachtet werden und die Erhaltung der Rollfähigkeit durch regelmäßige Wartung gewährleistet werden“, betont Jäger. Wenn schließlich bei der Arbeitsorganisation noch berücksichtigt wird, dass sich besonders schwere Wagen besser zu zweit bewegen lassen, wird das Risiko von Dauerschäden verringert – und das Lächeln der Flugbegleiter vielleicht noch strahlender bei der Frage: „Was möchten Sie trinken?“

 

Mobilitätseingeschränkte Fluggäste an Bord – was tun?

Ein aktuelles Betätigungsfeld ­– über das Themengebiet der Pflege hinaus – gilt der Fragestellung, wie hochbelastende, allerdings für die Barrierefreiheit von Passagieren erforderliche Flugbegleitertätigkeiten, ergonomisch gestaltet werden können. Aufgrund einer aktuellen EU-Verordnung haben Flughäfen und Luftfahrtgesellschaften insbesondere auch mobilitätseingeschränkten Passagieren von der Ankunft am Flughafen bis zum Platznehmen im Flugzeugsitz einen möglichst barrierefreien Zugang zu gewährleisten. Gegebenenfalls werden die hilfsbedürftigen Passagiere an Bord in einen Bordrollstuhl manuell gehoben bzw. positioniert. Aktuell wird im IfADo in Laboruntersuchungen in Zusammenarbeit mit der Berufsgenossenschaft für Verkehr (BGV) und Lufthansa geprüft, welche Bewegungsabläufe im Sinne eines rückengerechten Arbeitens empfohlen werden können und ob aus der Pflege bekannte, ggf. anzupassende reibungsverringernde Hilfsmittel auch für diese besonderen Flugbegleitertätigkeiten nutzbar gemacht werden können.

 

Der „Schwere-Last-Arbeitsplatz” – WHO-Broschüre
 (C. von Soosten)

Schädigungen des Muskel-Skelett-Systems durch falsches Heben und Tragen von Schwerlasten ist eine großes Problem in Schwellen- und Drittweltländern. „Preiswerte“ Arbeitskräfte werden meist nicht angeleitet, durch richtiges Handhaben diese Schäden zu vermeiden: bei Ausfall rückt schnell die Ersatzkraft nach. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sieht hier einen großen Bedarf, Präventionsstrategien zu verbreiten. In Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) haben wir eine Anleitungshilfe erstellt, wie die Lastenhandhabung – und in Ergänzung auch ungünstige Körperhaltungen ohne Lastenhandhabung – entsprechend schonend erfolgen kann: ”Preventing Musculoskeletal Disorders in the Workplace”.