Wie passt sich das menschliche Gehirn an die ständig steigende Komplexität technischer Geräte an?

Jeder von uns hat sich schon einmal mit einer Frage beschäftigt, die alle angeht. Bei „Frag Leibniz!“ können Sie uns Ihre Frage an die Wissenschaft senden. „Wie passt sich das menschliche Gehirn an die ständig steigende Komplexität technischer Geräte (Beispiel: Schnurtelefon früher und Smartphone heute) an? In welchem Entwicklungsstadium (Kleinkind – Kind – Jugendlicher – Erwachsener) geschieht dies?“

Hand auf Laptop

Aktuell forschen Wissenschaftler auf der ganzen Welt zum Thema, wie sich moderne digitale Geräte auf unser Gehirn und Verhalten auswirken. Es steht dabei weniger die Komplexität im Fokus des Interesses, sondern eher der Umfang und die Art der Nutzung von digitalen Medien. Komplexität wird wahrscheinlich deshalb weniger berücksichtigt, da dieses Maß zwar grundsätzlich die Eigenschaft von Systemen beschreibt, jedoch auch stark vom Nutzer abhängt. Für den ungeübten Nutzer kann beispielsweise der Umgang mit einem Smartphone unverständlich und schwierig sein, während der geübte Nutzer mit solch einem „komplexen System“ ohne jede Anstrengung interagiert.

Grundsätzlich wissen wir noch wenig darüber, wie digitale Medien das Gehirn und seine Funktionsweise verändern. Allerdings deuten neue Erkenntnisse darauf hin, dass die häufige Nutzung digitaler Technologien erhebliche Auswirkungen – sowohl negative als auch positive – auf Gehirnfunktion und Verhalten haben kann und das in jeder Alters- und Entwicklungsstufe. Zu den potenziell schädlichen Auswirkungen einer ausgiebigen Nutzung digitaler Medien werden insbesondere Aufmerksamkeitsdefizitsymptome, eine beeinträchtigte emotionale und soziale Intelligenz, Technologiesucht, soziale Isolation, eine beeinträchtigte Gehirnentwicklung und Schlafstörungen genannt.

Gehirn braucht Pause

So haben beispielsweise mehrere Studien einen Zusammenhang zwischen Computernutzung oder intensiver Bildschirmarbeit (z. B. Fernsehen, Videospiele) und Symptomen einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) hergestellt. Obwohl die meisten dieser Untersuchungen Kinder und Jugendliche betrafen, wurde dieser Zusammenhang bei Menschen jeden Alters festgestellt. Der Grund für den Zusammenhang zwischen Technologienutzung und Aufmerksamkeitsproblemen ist noch unklar, könnte aber auf starken Anforderungen an Aufmerksamkeitsfähigkeiten und Multitasking bei der Nutzung digitaler Medien zurückzuführen sein. Es wird davon ausgegangen, dass diese Anforderungen die sogenannten exekutiven Funktionen beeinträchtigen können. Exekutive Funktionen sind Hirnprozesse, die für die Steuerung zielgerichteten Verhaltens relevant sind und auch eine wichtige Rolle bei der Regulierung von Emotionen, Kognition und Verhalten spielen. Neben der direkten Beeinträchtigung dieser wichtigen Hirnfunktionen haben Menschen, die ständig mit digitalen Medien arbeiten, generell weniger Möglichkeiten, offline zu interagieren und ihrem Gehirn zu erlauben, sich in seinem Standardmodus auszuruhen.

Insbesondere bei Kleinkindern gibt es berechtigte Gründe, sich Sorgen über die übermäßige Nutzung digitaler Medien zu machen. In diesem Alter ist die Plastizität des Gehirns am größten, das bedeutet das Gehirn ist besonders formbar. In einer kürzlich durchgeführten Untersuchung wurde festgestellt, dass Kinder unter 2 Jahren täglich mehr als 1 Stunde vor dem Bildschirm verbringen; im Alter von 3 Jahren waren es sogar mehr als 3 Stunden. Eine längere Bildschirmzeit wurde mit einer schlechteren Sprachentwicklung und schlechteren exekutiven Funktionen in Verbindung gebracht. Bei Säuglingen war eine erhöhte Bildschirmzeit einer von mehreren Faktoren, die Verhaltensprobleme vorhersagten und mit einer schlechteren frühen Sprachentwicklung in Verbindung gebracht wurden.

Bildschirmnutzung kann Schlaf stören

In einer Studie mit Kindern im Alter von 8 bis 12 Jahren wurde festgestellt, dass mehr Bildschirmzeit und weniger Lesezeit mit einer verringerten Konnektivität des Gehirns zwischen den Regionen, die für die Worterkennung und die sprachliche und kognitive Kontrolle zuständig sind, assoziiert sind. Diese neuronalen Verbindungen werden als wichtig für das Leseverständnis angesehen und deuten auf negative Auswirkungen der Bildschirmzeit auf das sich entwickelnde Gehirn hin. Strukturell gesehen geht eine erhöhte Bildschirmzeit mit einer verminderten Integrität der Bahnen in der weißen Substanz einher, die für das Lesen und die Sprache notwendig sind.

Jüngste Studien deuten weiterhin darauf hin, dass die Bildschirmnutzung den Schlaf stört, was sich negativ auf Kognition und Verhalten auswirken kann. Die tägliche Nutzung von Touchscreens bei Säuglingen und Kleinkindern wirkte sich nachweislich negativ auf das Einschlafen, die Schlafdauer und das nächtliche Aufwachen aus. Bei Jugendlichen und Erwachsenen ging eine längere Nutzung von Smartphones und Touchscreens mit stärkeren Schlafstörungen, kürzerer Schlafdauer und weniger effizientem Schlaf einher. Es werden hierbei Zusammenhänge der schlechten Schlafqualität mit Veränderungen des Gehirns vermutet, die beispielsweise zu einer verringerten funktionellen Konnektivität, einem verringerten Volumen der grauen Substanz sowie einem erhöhten Risiko für altersbedingte kognitive Beeinträchtigungen führen.

Positiver Nutzen von Computerprogrammen

Trotz dieser eben genannten schädlichen Auswirkungen digitaler Technologien auf die Entwicklung und Gesundheit des Gehirns weisen neuere Erkenntnisse auch Vorteile insbesondere für das alternde Gehirn hin. Bestimmte Computerprogramme und Videospiele können das Gedächtnis, die Multitasking-Fähigkeiten, sowie Intelligenzfähigkeiten, die sich auf Problemlösen, Denken, schnelles Handeln und die Kodierung neuer Erfahrungen stützen, verbessern.

Scans der funktionellen Bildgebung zeigen zum Beispiel, dass ältere Erwachsene ohne bisherigen Interneterfahrung beim Lernen online zu suchen, eine deutliche Zunahme der neuronalen Aktivität im Gehirn zeigen. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Online-Suche eine Art neuronales Training für das Gehirn sein kann und das Gehirn mit entsprechenden neuronalen Anpassungen reagiert. Computerspiele können darüber hinaus auch die sogenannten Multitasking-Fähigkeiten von älteren Menschen verbessern. Diese Fähigkeiten nehmen im Laufe des Lebens linear ab. In einer Studie wurden freiwillige Personen im Alter von 60 bis 85 Jahren vier Wochen lang mit einem Videospiel namens NeuroRacer trainiert, bei dem die Spieler ein Auto auf einer kurvenreichen Straße steuern und dabei ihre Multitasking-Fähigkeiten trainieren konnten. Die Teilnehmer zeigten nach dem absolvierten Training eine bemerkenswerte Verbesserung in den Leistungsergebnissen, die nicht nur die von untrainierten Personen in ihren Zwanzigern übertrafen, sondern auch sechs Monate lang ohne zusätzliches Training beibehalten wurden. Darüber hinaus verbesserte das Multitasking-Training auch andere kognitive Fähigkeiten, die zum Beispiel das Arbeitsgedächtnis und Aufmerksamkeitsfähigkeiten betrafen.

Gehirnfunktion kann gefördert, aber auch geschädigt werden

Neuere Forschungen deuten generell darauf hin, dass Videospiele trotz möglicher negativer gesundheitlicher Auswirkungen exzessiven Spielens (z. B. Aufmerksamkeitsdefizite, sozialer Rückzug) Vorteile für die kognitiven Fähigkeiten haben können. Es wurde dabei gezeigt, dass das Spielen von Action-Videospielen an mehr als vier Tagen pro Woche (mindestens eine Stunde pro Tag) über einen Zeitraum von sechs Monaten die visuelle und räumliche Aufmerksamkeit sowie die Fähigkeit schnell zwischen Aufgaben hin und her zu wechseln verbessert. Des Weiteren deuten solche Untersuchungen darauf hin, dass das Spielen von Action-Videospielen die kognitiven und motorischen Fähigkeiten verbessern kann, was beispielsweise dazu führt, die chirurgischen Fähigkeiten von Ärzten zu verbessern und die Fehlerquote im Operationssaal zu senken.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Forschung zu den Auswirkungen digitaler Technologien auf die Entwicklung und Gesundheit des Gehirns vielfältige Hinweise dazu liefert, wie sich das Gehirn an den Umgang mit diesen Technologien in jedem Alter anpasst und dabei die Gehirnfunktion sowohl gefördert als auch geschädigt werden kann. Die künftige Forschung muss die zugrundeliegenden Mechanismen und kausalen Zusammenhänge zwischen der Nutzung von Technologien und der Anpassung des Gehirns weiter aufklären, wobei der Schwerpunkt sowohl auf den positiven als auch auf den negativen Auswirkungen der Nutzung digitaler Technologien liegen sollte.

Wissenschaftlicher Kontakt:
Prof. Dr. Gerhard Rinkenauer
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
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Presse Kontakt:
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Pressereferentin
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