Carsten Watzl klärt im European Journal of Immunolgy über Covid-19-Impfstoffe auf

In einem aktuellen Artikel zeigt Carsten Watzl, Leiter des Forschungsbereichs Immunologie, die in der Öffentlichkeit weit verbreiteten Missverständnisse über SARS-CoV-2 und Impfungen auf und stellt sie aus der Sicht eines Immunologen den wissenschaftlichen Erkenntnissen gegenüber.

Im Folgenden sind die wesentlichen Aussagen zusammengefasst:

COVID-19-Impfstoffe beeinträchtigen die Fruchtbarkeit bei jüngeren Frauen

COVID-19-Impfstoffe haben keine Auswirkungen auf die weibliche oder männliche Fruchtbarkeit (wohingegen eine SARS-CoV-2-Infektion die Spermienqualität bei Männern negativ beeinflussen kann). Sie sind bei schwangeren Frauen genauso sicher und wirksam wie bei nicht schwangeren Frauen. Eine Impfung während der Schwangerschaft kann Säuglinge in den ersten Monaten nach der Geburt vor einem Krankenhausaufenthalt mit COVID-19 schützen, und während der Stillzeit können schützende Antikörper, nicht aber der Impfstoff, auf das Kind übertragen werden.

Natürliche Immunität ist besser als Impfung

Eine Immunität durch Infektion ist mit einem größeren Risiko verbunden als eine Immunität durch Impfung. Aber ist die Immunität nach einer Infektion besser? Bei Personen nach einer SARS-CoV-2-Infektion ist der Abbau der neutralisierenden Antikörperspiegel langsamer als nach einer Impfung. Außerdem reagiert das Immunsystem während einer Infektion auf alle Antigene des Virus, während die meisten Impfstoffe nur spezifische Reaktionen hervorrufen. Daher kann eine Immunität nach der Infektion durchaus von Nutzen sein. Aber sie ist nicht ausreichend. Nach einer Infektion mit Varianten vor der Omicron-Variante verfügen Personen nur über sehr wenige oder gar keine Antikörper, die die Omicron-Variante neutralisieren können. Umgekehrt bietet eine Infektion mit Omicron keinen guten Schutz gegen andere Varianten des Virus. Die beste derzeit bekannte Form der Immunität ist die „hybride Immunität“, ein Ergebnis von Impfung UND Infektion.

Wenn Impfstoffe wirken, warum wurde ich dann nach der Impfung infiziert?

Während einer Infektion beginnen B- und T-Zellen, die den Erreger erkennen können, sich zu vermehren und eine große Armee aufzubauen, die den Eindringling bekämpfen wird. Nachdem die Infektion abgeklungen und das Antigen verschwunden ist, sterben viele dieser Zellen ab, da es für das Immunsystem unwirtschaftlich wäre, alle diese Zellen zu behalten. Nur einige wenige Zellen überleben in Form von Gedächtniszellen. Wie bereits erwähnt, lösen Impfstoffe eine ähnliche Immunreaktion aus wie eine Infektion. Außerdem sterben nach der Impfung viele der antikörperproduzierenden Zellen ab. Daher fallen die Antikörpertiter in den ersten Monaten nach der Impfung in der Regel recht schnell ab. Sie stabilisieren sich jedoch zu einem langanhaltenden Antikörpertiter, der von Antikörper produzierenden Gedächtniszellen aufrechterhalten wird.

Während ein solcher langanhaltender Titer ausreichen kann, um jahrzehntelang vor einer Infektion mit Masern zu schützen, benötigt man recht hohe Antikörpertiter, um vor einer Atemwegsinfektion wie SARS-CoV-2 geschützt zu sein. Da Omicron so viele Mutationen in seinem Spike-Protein trägt, können viele der impfstoffinduzierten Antikörper diese Variante nicht erkennen, was der Hauptgrund dafür ist, dass der Schutz vor einer Infektion, insbesondere mit Omicron, nicht optimal ist und mit der Zeit abnimmt. Die Impfstoffe schützen jedoch immer noch vor schweren Erkrankungen, wenn es zu einer Durchbruchsinfektion kommt, da dieser Schutz durch langlebige Gedächtniszellen vermittelt wird. Impfstoffe wirken also, auch gegen Omicron, da sie vor schweren Erkrankungen schützen.

Coronavirus ist nur ein weiteres Atemwegsvirus, das dem Influenzavirus ähnelt

Ähnlich wie bei der Influenza ist das Alter ein wichtiger Risikofaktor für eine SARS-CoV-2-Infektion. Der große Unterschied zwischen diesen beiden Viren besteht jedoch darin, dass fast niemand eine vorbestehende Immunität gegen SARS-CoV-2 hatte, was zu einer viel höheren Sterblichkeitsrate im ersten Jahr der Pandemie führte. Während die aktuelle Omicron-Variante im Vergleich zu früheren Varianten eine geringere intrinsische Pathogenität aufweist, könnten künftige Varianten wieder so pathogen sein wie die Delta-Variante. Es ist also nicht das Virus, das sich zwangsläufig verändert, um weniger gefährlich zu werden. Wir müssen uns ändern. Und wir verändern uns langsam, vor allem durch die Impfung hervorgerufene Immunität. Durch diesen Wandel könnten wir in Zukunft einen Zustand erreichen, in dem SARS-CoV-2 tatsächlich nur noch so gefährlich ist wie die Grippe. Aber wenn Menschen diesen Vergleich anstellen, versuchen sie oft zu argumentieren, dass Impfungen oder andere nicht-pharmazeutische Interventionen wie soziale Distanzierung und Masken nicht notwendig sind. Und ohne Impfungen würde SARS-CoV-2 noch viele Jahre lang viel gefährlicher bleiben als das Grippevirus.

Alle derzeit zugelassenen Impfstoffe wurden schnell entwickelt, so dass ihre Sicherheit in Frage gestellt ist

Die Entwicklung von COVID-19-Impfstoffen begann nicht erst mit dem Auftreten von SARS-CoV-2. Sie basierte auf jahrzehntelanger Forschung. Die Erprobung der Impfstoffkandidaten verlief außerdem wesentlich schneller. Nicht, weil kritische Sicherheitsschritte ausgelassen wurden. Die Zulassungsbehörden beschleunigten ihre Genehmigungs- und Prüfverfahren, und die Pharmaunternehmen konnten innerhalb weniger Wochen bis zu 40 000 Teilnehmer für Phase-3-Studien rekrutieren, da viele Menschen an der Teilnahme an diesen Studien interessiert waren. Normalerweise kann die Rekrutierung so vieler Teilnehmer für eine Impfstoffstudie Jahre dauern. Und schließlich wurde die Zahl der Infektionen, die zur Feststellung der Wirksamkeit der Impfstoffe erforderlich ist, schnell erreicht, da die Studien in Ländern und zu einer Zeit mit hohen SARS-CoV-2-Infektionsraten stattfanden.

Außerdem waren diese Studien im Vergleich zu anderen Impfstoffstudien sehr groß, so dass auch seltenere Ereignisse erfasst werden konnten. Da aber Nebenwirkungen oft sehr selten sind, werden sie meist erst entdeckt, wenn Millionen von Menschen nach der Zulassung des Impfstoffs geimpft werden. Daher ist es eine Stärke der COVID-19-Impfstoffe, dass sie innerhalb eines kurzen Zeitraums an viele Menschen verabreicht wurden. Dadurch konnten sehr seltene Nebenwirkungen, die nur bei weniger als einer von 100.000 geimpften Personen auftreten, schnell erkannt werden. Im Grunde genommen wissen wir mehr über die Sicherheit der COVID-19-Impfstoffe als über viele andere Impfstoffe, die in demselben Zeitraum verabreicht wurden.

Originalpublikation:
Watzl, C. (2022), COVID-19 vaccines – common misperceptions, false claims and myths explained. Eur. J. Immunol.:
Wissenschaftlicher Kontakt:
Prof. Dr. Carsten Watzl
Leitung Fachbereich Immunologie
Ardeystrasse 67 Dortmund Nordrhein-Westfalen DE 44139
Presse Kontakt:
Anne Gregory
Pressereferentin
Ardeystrasse 67 Dortmund Nordrhein-Westfalen DE 44139

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