Mehr als Hören: Am IfADo wird das Sprachverstehen erforscht

„Wie bitte?“ — in der vollen Kantine oder am Bahnsteig kann es schwerfallen, eine Person zu verstehen. Das erleben wir auch, wenn Informationen fehlen: Etwa aktuell, wenn Mund und Nase mit einer Maske bedeckt sind. Am IfADo erforschen Psychologinnen und Psychologen, wie das Sprachverstehen bei Jung und Alt grundlegend funktioniert. IfADo-Doktorandin Alexandra Begau erklärt die Rolle von Ohren und Augen beim Sprachverstehen.

Testperson in der akustischen Kammer

Das Tragen von Masken ist wichtig, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen. Die Kommunikation kann erschwert sein, wenn Mund und Nase bedeckt sind. Warum?

Alexandra Begau: Um die Ausbreitung von Viren gering zu halten, müssen Mund und Nase komplett bedeckt sein. Dadurch wird jedoch der Schall gedämpft. Außerdem kann ich als zuhörende Person durch die Maske keine Mundbewegungen mehr erkennen. Es gibt einige Untersuchungen dazu, dass visuelle Sprache im Alltag hilft, akustische Sprachsignale besser zu verarbeiten. Wenn wir Lippenbewegungen sehen, erhalten wir zusätzliche Sprachinformationen. Diese überschneiden sich zum einen stark mit dem Gehörten. Zum anderen bewegen sich unsere Lippen in der Regel schon, bevor wir ein Wort hörbar aussprechen. Die Lippenbewegung des Gegenübers ist dann wie ein Hinweisreiz für unser Gehirn, dass zugehört werden muss. Wenn wir uns in einer lauten Umgebung befinden, können akustische Informationen zudem im Lärm untergehen. Die Lippenbewegung zu beobachten hilft dann, entstehende Lücken zu füllen.

Warum haben häufig ältere Menschen Schwierigkeiten, einem Gespräch zu folgen?

Wenn wir älter werden, verändern sich zahlreiche Funktionen. So nimmt die Hörleistung ab. Auch kognitive Leistungen gehen zurück, wie die Fähigkeit, uns konzentrieren zu können. Zudem werden wir weniger flexibel und langsamer darin, äußere Reize aufzunehmen und zu verarbeiten. In Bezug auf Sprachverarbeitung bedeutet das, dass es mit fortschreitendem Alter schwieriger wird, unwichtige und möglicherweise störende Umgebungsgeräusche auszublenden und sich auf die Gesprächsperson zu fokussieren. Verschiedene Studien konnten außerdem beobachten, dass Ablenkungen oder spontane Wechsel der sprechenden Person eine erhöhte Schwierigkeit für Ältere darstellen.

Am IfADo forschen Sie in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt. Es geht um die zugrundeliegenden Mechanismen im Gehirn, die Jung und Alt eine effektive Sprachverarbeitung ermöglichen. Was untersuchen Sie?

Ich beschäftige mich mit der Frage, wie wir Sprache verarbeiten, wenn wir uns in einer komplexen Situation befinden, in der Menschen gleichzeitig sprechen, wir aber nur auf bestimmte Hinweisreize hören sollen. Dabei wollen wir herausfinden, wie zusätzliche visuelle Sprachinformation diese zugrundeliegenden Mechanismen beeinflusst und stützt. Wir erfassen deshalb unter anderem die Hirnaktivität der ProbandInnen mittels Elektroenzephalografie (EEG).

Es gibt Hinweise, dass besonders Ältere von zusätzlicher visueller Sprache profitieren können. Bislang gibt es aber nur wenige Studien, die natürliche Sprachreize, also Wörter, verwenden und noch weniger Studien, die audiovisuelle Sprache präsentieren, während gleichzeitig konkurrierende Sprachreize vorhanden sind.

Es ist für den Erhalt und die Verbesserung des Sprachverstehens wichtig, zunächst grundlegend zu verstehen, wie Sprache in diesen Situationen verarbeitet wird, wie die visuellen und akustischen Komponenten ineinandergreifen und ob es altersbedingte Unterschiede dabei gibt.

Was konnten Sie bereits herausfinden?

Wir haben erst einen Teil der Daten ausgewertet. Wir konnten jedoch schon zeigen, dass audiovisuelle Sprache hilfreich sein kann, sowohl für junge, aber insbesondere auch für ältere Menschen. In unserem Experiment wurden den ProbandInnen gleichzeitig drei Wörter von links, mittig und rechts vorgespielt. Unter den Wörtern gab es immer zwei irrelevante Zahlwörter und einen relevanten Zielreiz, der entweder „Yes“ oder „No“ lautete. Die ProbandInnen sollten per Tastendruck angeben, welches der beiden Wörter sie gehört hatten. Präsentiert wurden die Wörter entweder mit dem jeweiligen Standbild der Sprecherin, mit einem Video einer unspezifischen Lippenbewegung oder mit einem Video mit passender Lippenbewegung.

Die Ergebnisse zeigen, dass ältere ProbandInnen sich von jüngeren insofern unterscheiden, als sie langsamer und unpräziser reagieren. Auch ihre Hirnaktivierung unterscheidet sich. Wir konnten zeigen, dass sich die Sprachverarbeitung unterscheidet, je nachdem ob zusätzlich eine hilfreiche visuelle Lippenbewegung gezeigt wird oder nicht. Beim Darbieten der passenden Lippenbewegung reagierten die ProbandInnen schneller und präziser. Passende visuelle Sprache bietet also vor allem für ältere Menschen eine Möglichkeit, altersbedingte Einschränkungen zu kompensieren.

Was kann man tun, um das Sprachverstehen im Alltag zu verbessern?

Generell ist es am einfachsten, sich in Umgebungen aufzuhalten, in denen der Geräuschpegel nicht überfordert. Zusätzliche visuelle Sprachinformation durch Lippenbewegung zu bekommen, kann auch helfen. Wenn das durch das Tragen einer Maske aber verhindert wird, sollten wir umso mehr auf eine deutliche Betonung, eine langsame Sprache und eine zugewandte Sprechweise achten. Denn je weniger „Unklarheiten“ beim Verstehen des Gegenübers entstehen, desto weniger Lücken muss unser Gehirn versuchen zu füllen.

Wissenschaftlicher Kontakt:
PD Dr. Stephan Getzmann
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
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Verena Kemmler
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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